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Dienstag, 4. März 2008

INTERVIEW MIT MARCO CAMENISCH ( "La Stampa", 07. Mai 2005)


Sein Name in Form von "Freiheit für Marco" oder auch "Camenisch wegen zweifachen Todschlags zu 17 Jahren Gefängnis verurteilt"; "Marco Camenisch, der Ökoterrorist" erschien viele Male auf den Mauern von halb Europa und auf Dutzenden anderer Flugblätter bei weiteren Attentaten auf die Verteilermasten von Enel (italienische Elektrizitätsbehörde), Kernkraftwerke, Hochgeschwindigkeitsstrecken und zuletzt seitens der italienischen Geheimdienste in Verbindung mit den Anarcho-InsurgentInnen.

In Fleisch und Blut; mit langem, bis über die Schultern reichendem grauen Haar und spitzer Nase; mit klaren Augen und in braunen Gefängnisuniform; mit vielen Zigaretten und einem Strim von Worten wirkt er in einer Ecke des Besuchsraums des 20 km von Zürich entfernten Supergefängnisses wie ein Schatten. Ein gefliesster Raum, natürlich mit weissen Wänden, der auf eine Grünanlage hinausgeht und dessen blaue Türen verblendet sind. Alles ist in eine schmerzliche Stille, die nur von einer Sirene unterbrochen wird, die um 8 Uhr morgens und dann alle 3 Stunden mit schweizer Präzession ertönt.

"Das italienische Gefängnis war besser. Hier herrscht neben dem Uniformzwang auch der Zwang 7 Stunden täglich in einer Buchbinderei zu arbeiten. Wenn du das nicht willst, landest du in der Isolation", beklagt Camenisch, der sein halbes Leben wegen zweifachen Todschlags und Dutzenden von Attentaten hinter Gittern verbracht hat und weiter verbringen soll.

- Sie kennen dieses Gefängnis gut. Sie sind hier zum ersten Mal im Januar 1980 wegen der Sprengung von zwei Pfeilern der Hydrokraftwerks von Sarelli eingewiesen worden. Im Dezember 1981 gelang Ihnen die Flucht, bei der ein Beamter ums Leben kam. Das ist der erste Todschlag der Ihnen zur Last gelegt wird -

- "Von diesem Todschlag bin ich im vergangenen Jahr freigesprochen geworden"-

- Im Gegensatz zu einem weiteren.., der Ermordung eines Grenzschützers an der Grenze von Brusio in der Nähe seines Dorfs, am 03. Dezember 1989.., Sie wurden für schuldig befunden und zu 17 Jahren verurteilt... -

- "Ich wollte im Verlauf des Prozesses nichts zu den beiden Todesfällen sagen. Ich wollte nicht sagen "ich bin es gewesen; ich bin es nicht gewesen". Aber als sie im Fall des Grenzbeamten behaupteten, ich hätte ihn erschossen als er wehrlos am Boden lag, musste ich mich verteidigen. Ich bin weder ein Metzger noch ein Henker... Sie verurteilten mich zu 17 Jahren, aber es ist bereits ein Rechtsmittel beim Oberersten Gericht hiergegen eingelegt. Dem Föderalen Gericht habe ich einen weiteren Widerspruch wegen der Entität der Strafe vorgelegt. Die 12 bereits in Italien abgesessenen Jahre sind nicht im Mindesten berücksichtigt worden". -

- Zwölf Jahre die Sie für eine Serie von Anschlägen auf Hochspannungsmasten, Elektrizitätskraftwerke und Industrieanlagen erhalten haben. Sind das alles Aktionen, die Sie empfohlen haben? -

-"Ja, man weiss genug über sie. Ich bin ein Mann der Aktion und überdies einer der Alpeggi (Viehhirten in den Bergen)".

-Tatsächlich werden Sie als Terrorist, Ökoterrorist, Anarchist, Anarchoinsurgent bezeichnet. Es kann ausgewählt werden... -

- "Es handelt sich dabei nur um herkömmliche Definitionen die immer wieder einmal benutzt werden. Ausserdem ist Terrorist ein bereits inflationärer Terminus. Ich fühle mich als Anarchist und Ökologist. Als Radikalökologist". -

- Was hat die Sabotage an einem Verteilermast von Enel mit Ökologie zu tun? -

- "Die Verteilungsmasten sind die Vehikel der Energie, sie sind die Lymphe des Systems, wenn du sie angreifst steht alles still. Als die elektrischen Leitungen von Frejus zerstört wurde, waren alle Waffen,-und Munitionsfabriken der Provinz Brescia blockiert (u.a. Beretta)". -

- Aber Sie haben nicht geantwortet. Man kann gegen Waffenfabriken sein ohne deshalb zwingend Industrieanlagen zu sabotieren... -

- "Dann muss ich weiter ausholen. Ich wurde in Schiers, im Kanton Grisons, geboren, aber eher zufallsweise. Man Vater war Grenzschützer, wir sind häufig umgezogen. Der Gedanke, dass eine grössere Rückkehr zur Natur notwendig ist kam mir in den 70ger Jahren, als ich noch auf´s Gymnasium ging. An der Landwirtschaftsschule von Planthof lehnte ich es ab moderne, industrialisierte und mechanisierte Landwirtschaft zu studieren. Ich wollte nichts von Düngemitteln wissen. Aber es ist mir nicht gelungen. Vor dem Abschluss der Schule lebte ich in einem Hirtengehöft ohne Licht und holte das Wasser aus einer Quelle. Später dann sah ich, wie das System Kernkraftwerke errichten wollte. Ich begriff, dass ich mich verteidigen musste, dass es notwendig war, den Dingen auf den Grund zu gehen. Die Verwüstungseffekte der Zivilisation, die Umweltkatastrophe, die wir vorbereiten, mussten gestoppt werden". -

- Aber Sie werden zustimmen, dass eine Rückkehr zu Kerzen und Laternen undenkbar ist. Wer, ausser Ihnen und ein paar wenigen Anderen möchte das? Der Fortschritt hat uns Vorteile gebracht und unsere Lebensqualität verbessert. Es ist sehr viel einfacher einen Knopf zu bedienen und ein beleuchtetes, warmes Haus zu haben als ein Feuer anzumachen. Meinen Sie nicht? -

- "Die Dinge sind dabei sich zu ändern. Die Leute sind sensibel für saubere Eenergien; sie wollen keine Radio,-oder Fernsehantennen, die vor ihren Häusern elektromagnetische Strahlungen abgeben. Sie stehen gentechnisch veränderten Organismen differenziert gegenüber". -

- Dagegen können wir uns auf vielfache Art verteidigen. Es ist nicht nötig, Verteilermasten zu zerstören... -

- "Die Menschen werden nur sensibel, wenn es gelingt eine Gefahr in der Umgegend nachzuweisen. Ich weiss, dass mein Lebensmodell nicht verallgemeinerbar ist. Ich habe es für mich gewählt. Niemand unter uns ist völlig immun gegen die Vergiftung durch die modernen Technologien. Das System will uns auch dann noch als Sklaven der Modernität, wenn klar zu sehen ist, dass es bei der Abholzung eines Waldes mehr Erdrutsche geben wird. Das Klima verändert sich. Es gibt mehrere glaubwürdige Wissenschaftler, die mit Sicherheit keine Terroristen sind, die vorhersagen, dass eine weitere Umweltkatastrophe geschehen wird". -

- Das sind Theorien über die viel diskutiert wird... -

-"Ich wollte erleben, ob man ohne fliessendes Wasser und elektrisches Licht leben kann. Ich begriff, dass man damit besser fährt. Andere, nicht so eindeutige Dinge, sind schwieriger anzuerkennen. Der Fortschritt hat nicht den Hunger in der Welt beseitigt sondern ihn verstärkt. Die moderne Gesellschaft mit all´ ihren Bequemlichkeiten hat es nicht geschafft, Krankheiten auszumerzen, vielmehr gibt es heute immer neue. Seid Ihr sicher, dass diesen Preis bezahlen wollt? Wenn Dinge zerstörerisch sind muss man auf sie verzichten. Man darf nicht Sklave eines Systems sein, das die Umwelt zerstört". -

- Aber Sie haben auch eine Internetseite (www.freecamenisch.net), die modernste Sache der letzten Jahre. Und sogar einen Computer in Ihrer Zelle. Wie erklären Sie das? -

-"Bis zu einem gewissen Punkt ist es legitim, wenn nicht sogar notwendig, dieselben Waffen wie die Modernität zu benutzen. Ich kann das System nicht mit Pfeil und Bogen angreifen. Ich musste Sprengstoff benutzen, ich brauchte Fahrzeuge, um ihn zu transportieren und mobil zu sein..." -

- Ihre Ideen werden von einigen gedanklichen Schulen getragen. Sie werden Neoprimitivisten genannt... -

-"Wir gelangen dahin, uns mehr mit Worten als mit der Substanz zu befassen. Dann gibt es auch die Antizivilisation..."-

- Sehen Sie sich als "Negativlehrer" dieser Theorien? -

-"Ich bin niemandens Lehrmeister. Ich sage niemandem was er/sie zu tun oder zu lassen hat". -

- Aber in Ihrem Namen sind Dutzende von Anschlägen begangen worden. Selbst im Fall der Zerstörung eines Teils des Abetone in der Toskana werden Sie genannt. Danach gab es Attentate in Frankreich, die gegen die Bauarbeiten an der Hochgeschwindigkeitstrasse von Piemont sowie auf die Verteilermasten von Enel 2003 und in Valtellina 2004...-

"Es gibt immer Leute, die wissen was getan werden muss. Das soll heissen, dass nicht ich allein diese Schlacht führe."

- Unter der Fahne der Anarchie gibt es alles. Von den Packetbomben gegen die Komissariate der Carabinierie, auf die Polizeibüros in Genua bis hin zum Haus von Prodi in Bolonia. Es wird behauptet, dass einheitliche anarchoinsurgente Strategie existiert. Was sagen Sie hierzu?-

-"Immer dieselbe Reduzierung auf Kathegorien. Ich könnte sagen, dass ich alle Aufstandstheorien teile, aber das sind Dinge über die man nicht ausserhalb der Bewegung sprechen kann. Ich betrachte mich als Anarchisten und Ökologisten". -

- Sie wollen noch nichteinmal über die Brigarte Rosse als eine andere Form des Terrorismus sprechen? -

-"Als Anarchist ist für mich ausgeschlossen, dass ich irgendjemandem sage, was er/sie zu tun oder zu lassen hat. Ich kann nur jedem/jeder meine Solidarität aussprechen, der/die von der Repression des Staats getroffen wird". -

- Wenn Sie aus diesem Gefängnis herauskommen, werden Sie ein alter Mann sein. Was gedenken Sie dann zu tun? -

-"Ich würde gerne zur Landwirtschaft zurückkehren und noch immer in den Wäldern leben". -

- Und die Verteilermasten? -

-"Aus persönlichen Gründen, wegen fortgeschrittenen Alters und meiner angegriffenen Gesundheit ist es nicht denkbar, dass ich zur klandestinen, bewaffneten Militanz zurückkehren werde".-

- Ist das die Erklärung der Beendigung des Kriegs; dass Sie nach einem halben Leben im Untergrund zwischen der Schweiz und der Toskana und der anderen Hälfte in den Gefängnissen hier und in Italien den Rückzug antreten? -

-"Ich führe keinen Privatkrieg. Deshalb habe ich weder einen Krieg gewonnen noch verloren. Ich weise nichts von alledem, was ich in meinem Leben getan habe, zurück. Aber ich bin jetzt 53 Jahre alt und sollte als Veteran betrachtet werden".

http://de.indymedia.org/2008/03/209445.shtml?c=on#comments2
http://www.augenauf.ch
http://www.escapeintorebellion.info/
http://www.freechristian.gulli.to/

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