NEIN! Wir lassen uns nicht verdrängen!

Mittwoch, 2. Juli 2008

Echt? Nicht nur harmlos? Ach, nee.

Die meisten deutschen Fans feierten ein fröhliches EM-Fest. Doch der neue Patriotismus hat auch seine dunklen Seiten. Fußball kann nationalistische Übersteigerung fördern!

Die EM ist vorbei. Tränen, Blut und Schweiß sind geflossen, und viele, viele Fahnen wurden geschwenkt. In ihren guten Momenten (und das war die Mehrzahl) nahm die Fußballeuphorie karnevalesken, fröhlichen Charakter an. So wie Fußball eigentlich ein Spiel ist, so feierten die Fans oft einfach nur mit Spaß an der Sache und ohne Verbitterung, wenn die „eigenen“ Jungs mal nicht so geglänzt hatten.
Doch ist die neue Schwarz-rot-geil-Euphorie immer nur so harmlos, wie unisono in den Medien und von Politikern behauptet wird? Ist der neue deutsche Patriotismus wirklich allerorts nur ein „postpatriotischer Partyotismus“? Die Journalistin und Schriftstellerin Katrin Passig kreierte diesen Begriff nach der WM 2006: „Er ist unscharf definiert, tut niemandem weh und ist weit unter Trinkstärke verdünnt.“
Für die Mehrzahl der Fans mag das zutreffen. Dennoch kann es nicht über eine besorgniserregende Entwicklung hinwegtäuschen: Zwei Jahre nach der WM kann man einer Statistik des Bundesinnenministeriums entnehmen, dass die Gesamtzahl rechtsextrem motivierter Delikte im vorvergangenen Jubeljahr um 14 Prozent auf 18.142 Fälle gestiegen ist - ein neuer Höchststand. Die beiden WM-Monate wiesen Spitzenwerte auf.
Seit 2001 untersucht der Bielefelder Soziologe Wilhelm Heitmeyer, einer der führenden Gewaltforscher Deutschlands, in einer Langzeitstudie „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“. Der während der Fußball-Weltmeisterschaft entstandene „Party-Patriotismus“ ziehe „keine positiven Effekte nach sich“, meint er. Als Beleg führte er eine Umfrage an, die unmittelbar vor und nach der Fußball-WM durchgeführt wurde. Danach stieg der Anteil derjenigen, die „stolz auf die deutsche Geschichte sind“, sowie derjenigen, die „stolz darauf sind, Deutscher zu sein“. Der Anteil derjenigen, die „stolz auf die Demokratie in Deutschland sind“ sank.
Gegen Gerald Asamoah, den ersten gebürtigen Afrikaner in einer DFB-Auswahl, der 2006 Teil des deutschen WM-Aufgebots war, zettelte die NPD damals eine Hetzkampagne an. Unter anderem veröffentlichte sie einen WM-Planer mit dem Titel "Weiß - nicht nur eine Trikotfarbe - Für eine echte NATIONAL-Mannschaft".
Für die Wochen der EM liegen noch keine Zahlen rechtsextremer Gewalttaten vor. Doch die Berichte über die Krawalle in Dresden, Leipzig und Chemnitz nach dem Schlusspfiff des für Deutschland siegreichen Spiels gegen die Türkei gingen durch die Presse – wenn auch nur kurz, um die allgemeine Euphorie nicht zu stören. Indymedia bemerkt dazu: „Beachtenswert war außerdem, dass sich die feiernde und breite Masse von den Ereignissen wenig beeindruckt zeigte und weiterhin Deutschlandfahnen schwenkte, während Nazis nebenan den türkischen Imbiss ausräumten.“
Manchmal, wie beim Spiel Deutschland-Kroatien, hörte man Sprüche, die an die Rede vom „slawische Untermenschen“ denken ließen. Als der flinke Mittelfeldspieler Luca Modric am Ball war, wurde neben mir gebrüllt: „Wie sieht der denn aus? Scheißhässliche Kroaten“ – und das mitten im schicken Berlin-Mitte, ein paar Meter vom Bundestag entfernt.
Immer wieder ist es in Deutschland in den letzten Jahren zu unakzeptablem, oft gewalttätigem Verhalten gegenüber Ausländern oder Personen mit migrantischem Hintergrund in Fußballstadien gekommen. Die Sportjournalistin Elke Wittich berichtet in der aktuellen Ausgabe des "Amnesty Journal", dem Monatsmagazin von amnesty international, wie türkische and andere Fußballvereine mit migrantischem Hintergrund in Deutschland Woche für Woche übelsten Beleidigungen ausgesetzt sind. In Neuruppin endete eine Gedenkminute an zwei Spieler des Berliner Fußballvereins Türkiyem, die gerade bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen waren, damit, dass im Publikum Jubel einsetzte: „Tschüss, Ali, zwei weniger, jawohl!“
Vor wenigen Wochen erschien eine neue Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung über die Entstehung rechtsextremer und demokratischer Einstellungen in Deutschland. Ihr zufolge stimmt rund jeder fünfte Bürger (21,7 Prozent) ausländerfeindlichen Äußerungen wie „Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen“ oder „Wenn Arbeitsplätze knapp werden, sollte man die Ausländer wieder in ihre Heimat zurückschicken“ (19,9 Prozent) zu. Den Satz „Eigentlich sind die Deutschen anderen Völkern von Natur aus überlegen“ halten 12,1 Prozent der Deutschen für richtig.
Das Internetportal „Mut gegen rechte Gewalt“ konstatiert in Bezug auf die Studie ein „erhebliches Demokratiedefizit und eine tief verwurzelte Fremdenfeindlichkeit“ und fährt fort: Diese Erkenntnis ist zwar nicht neu. Aber das Ausmaß (...) scheint intensiver als bislang von der Mehrheitsgesellschaft wahrgenommen.“ Ausländerfeindliche Ressentiments werden mit besorgniserregender Selbstverständlichkeit geäußert.
Beim Fußball besteht die Gefahr nationalistischer Übersteigerung in besonderem Maße. Einmal ist schon nach einem Fußballspiel Krieg geführt worden: Er brach am 14. Juli 1969 zwischen Honduras und El Salvador aus, nachdem es bei den WM-Qualifikationsspielen beider Länder zu Todesopfern gekommen war. Der Krieg kostete 3000 Menschen das Leben, 6000 wurden verletzt.
Vielleicht kann ja der geneigte Fußballfan etwas vom hervorragenden Spiel der spanischen Mannschaft lernen: Bei den Spaniern standen nicht „Kraft, Tempo und Wucht im Mittelpunkt, sondern Lust am Spiel und die Kunst am Ball“, wie der Sportreporter Christoph Biermann resümierte. Schön wär’s, wenn’s mal wieder nur darum ginge, und nicht um die Instrumentalisierung des Fußballs als Politik mit anderen Mitteln.


Quelle: Die ZEIT

Keine Kommentare:

Deutsches Blog Verzeichnis